50 Jahre Frauenstimmrecht Zug 2021

 

Margrit Spillmann

Am 7. Februar 1971 stimmten die Schweizer Männer an den Urnen der Verfassungsänderung zu, dass künftig alle Schweizerinnen die gleichen politischen Rechte wie sie haben. Seither dürfen Schweizer Frauen auf eidgenössischer, in Zug von nun an auch auf kantonaler Ebene wählen und abstimmen.

50 Jahre später sprechen fünf Frauen über ihre Erinnerungen an jene Zeit. Sie geben Einblick in ihr persönliches Engagement in sozialen, politischen oder kirchlichen Funktionen und überlegen sich, was im Kanton Zug seither in Frauenrechtsfragen geschehen ist.

Der Verein 50 Jahre Frauenstimmrecht Zug 2021 hat in Zusammenarbeit mit dem Verein wiiter verzelle fünf Videoporträts produziert, die am 8. März 2021 zum internationalen Tag der Frau veröffentlicht werden.

Margrit Spillmann


Geboren am 11. Juli 1944 in Zürich
Dr. jur, erste Zuger Kantons- und Stadträtin



Margrit Spillmann wächst mit zwei Schwestern und einem Bruder im Seefeld Zürich auf. Ihre Eltern sind Juristen. 1960 stirbt die Grossmutter. Die Familie zieht in das «Spillmann-Haus» an der Hofstrasse. Margrit Spillmann wechselt an die Kantonsschule Zug – damals auch an der Hofstrasse (Athene). Ihr fällt der Wechsel schwer, hat es ihr doch am Gymnasium in Zürich in der reinen Mädchenklasse besser gefallen.

Sie studiert Jura in Zürich. 1969 beginnt sie ihr Praktikum als Auditorin am Kantons- und Obergericht Zug. Ihr Ziel ist das Anwaltspatent. Am Gericht lernt sie Zug kennen. Die überblickbare Stadt gefällt ihr.

Margrit Spillmanns Eltern interessieren sich nicht sehr für Politik, aber ihr Urgrossvater, Fritz Spillmann, war Zuger Landamman. Ihm ist der Spillmann-Brunnen in Menzingen gewidmet. Sie tritt der Partei der Jungliberalen in Zug bei, nachdem sie sich bei Dr. Hans-Ulrich Kamer, dem Vizepräsidenten, erkundigt, ob dies auch der passende Club für sie sei. Sie politisiert nicht, findet es aber eine Sauerei, dass man als Frau nicht stimmen darf.

Während ihrer Zeit am Gericht in Zug lernt sie die Politik besser kennen. 1974 kandidiert sie für den Kantonsrat und den Stadtrat. Sie wird als erste und einzige Frau in den Kantonsrat gewählt. 1978 verunglückt der Zuger Stadtpräsident Emil Hagenbuch tödlich. Margrit Spillmann übernimmt den freigewordenen Stadtratssitz interimistisch und ist für fünf Monate erste Zuger Stadträtin. Bei den darauffolgenden Wahlen verliert die FDP den Sitz.

Margrit Spillmann ist Bürgerin von Zug und Zürich. Trotz ihrer eher kurzen Zeit in Zug fühlt sie sich als Zugerin. Ihr politisches Bewusstsein wurde durch diese intensive Zeit sehr geprägt.

In der Stadt ist Margrit Spillmann gerne mit dem «Töffli» unterwegs (12:48).

Man hört auf Margrit Spillmann. Durch ihren Beruf ist sie den Umgang mit Männern gewohnt, die Ausbildung bringt ihr Akzeptanz. Solange die Frau verantwortlich ist für die Familie, kann die Gleichstellung von Mann und Frau nicht erreicht werden, meint sie. Trotz vielen Verbesserungen arbeitet der Mann in den meisten Fällen weiter, und die Frau kümmert sich mehrheitlich um die Kinder. Auch ein neues Gesetz kann tiefsitzende gesellschaftliche Vorstellungen nicht so schnell ändern. Sie bewundert jede Frau, die es schafft, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Das sei für eine Frau auch heute noch schwieriger als für einen Mann.

Barbara Beck-Iselin


Geboren am 29. November 1954 in Baar, aufgewachsen in Baar, wohnhaft in Menzingen
Familienfrau, gelernte medizinische Laborantin, ehemalige Präsidentin der Frauenzentrale Zug, ehemalige Co-Präsidentin Alternative die Grünen Kanton Zug, Gemeinderätin in Menzingen




Barbara Beck-Iselin erledigt nach der Geburt ihres ersten Kindes kleine Aufgaben in der Praxis ihres Ehemanns und Menzinger Dorfarztes Peter Beck. Sie wächst in einer freisinnig geprägten Familie in Baar auf. Ihr Vater ist Personalchef in verschiedenen Firmen und betreibt hobbymässig Alterspolitik. Ihre Mutter ist Sozialarbeiterin.

Die beiden Grossmütter erzählen ihr, dass sie gerne eine Lohnarbeit ausgeübt hätten, aber keinen Beruf lernen durften. Die Eltern ihrer Mutter und ihres Vaters leben vor, sich ehrenamtlich zu engagieren. Als Mensch, der von den 68er-Jahren geprägt ist, hat sie am Familientisch Diskussionen über Kapitalismus und Sozialismus herausgefordert.

Ihr Vater erschafft bei seinem Arbeitgeber Alusuisse Teilzeitstellen, auch in höheren Positionen. Vorher, als Personalchef bei Landis & Gyr, rekrutiert er Arbeiter aus dem Tessin und aus dem Misox, aber auch junge Arbeiterinnen aus Sizilien. Nach der Geburt ihres ersten Kindes reduziert ihr Vater sein Arbeitspensum, um Zeit mit den Grosskindern verbringen zu können.

Die Mutter von Barbara Beck-Iselin ist 1969 Mitgründerin der Frauenzentrale Zug. Liberale und Konservative finden zusammen einen Weg, um Frauen im Kanton Zug zu unterstützen, indem verschiedene Frauenwertvorstellungen vereint und Beratungsstellen erschaffen werden. Die Ehemänner der liberalen Frauen stehen hinter dem Frauenstimm- und -wahlrecht, so auch ihr Vater und ihre Grossväter.

Als sie mit dem damaligen Stimmrechtsalter 20 erstmals abstimmen und wählen darf, engagiert sie sich in Zug zusammen mit einer Frauengruppe auf feministische Weise. Die vorherrschenden Einschränkungen lassen sich diese Frauen nicht bieten.

Mit der Zeit findet sie immer mehr den Weg in die Freiwilligenarbeit. So engagiert sie sich auch für die OFRA, die Organisation für die Sache der Frau, für deren nationale Organisation sie auch im Vorstand tätig ist. Da kümmert sie sich unter anderem wiederholt um die Fristenlösung. Später, im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Frauenzentrale Zug, kümmert sich Barbara Beck-Iselin um die Anerkennung von Haus- und Familienarbeit.

Christine Blättler-Müller


Geboren am 16. Mai 1967 in Altstätten (SG), Familienfrau, gelernte Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerin, ehemalige Präsidentin der Frauenzentrale Zug, ehemalige Kantonsrätin, Gemeinderätin Cham, Präsidentin der Sozialvorsteherinnen und Sozialvorsteher der Einwohnergemeinden des Kantons Zug



Christine Blättler-Müllers Einsatz für die Gleichstellung von Mann und Frau hat ihren Ursprung in ihrer Kindheit. Geprägt von Gesprächen über Politik am Familientisch und der Aufforderung ihres Vaters, Ungerechtigkeiten zu thematisieren. Sie wächst katholisch-konservativ auf und wäre gerne Ministrantin, was aber den Buben vorbehalten ist. Ihre Grossmütter und Tanten sind berufstätig.

In der Pubertät beginnt ihre Ausbildung zur Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerin am Lehrerinnenseminar Bernarda Menzingen. Dort erlebt sie neue Freiheiten. Spannend ist das Zusammenleben unter Frauen, schwieriger das kirchliche Umfeld. Frauen- und Gleichstellungsthemen werden oft diskutiert. Christine Blättler-Müller lernt ihre Meinung zu vertreten und zu begründen. Die Geschichten anderer Menschen bringen sie zur Erkenntnis, dass die Gleichstellung von Mann und Frau in gutsituierten Familien einfacher zu leben ist.

Christine Blättler-Müller unterrichtet in Appenzell zur Zeit der Einführung des Frauenstimmrechtes. An der ersten Landsgemeinde mit Frauen nimmt sie teil und erlebt sie als schönen und wichtigen Moment.

1991 ziehen Christine Blättler-Müller und ihr Partner Roger in den Kanton Zug. Sie entscheiden sich dafür, eine Familie zu gründen und zu heiraten. Das Aufteilen der Hausarbeit ist ihr sehr wichtig. Auch als Mutter unterrichtet sie einen Tag pro Woche. Nach einem zweijährigen Amerikaaufenthalt kommt die Familie zurück in den Kanton Zug und Christine Blättler-Müller möchte wieder arbeiten. Ihr Mann ist berufsbedingt nur am Wochenende zuhause und die wenigen Kitas haben lange Wartelisten. Sie geht nicht arbeiten und bereut dies heute. Sie empfiehlt jungen Frauen, ihre Arbeit nicht aufzugeben, auch wenn es sich nur um ein kleines Pensum handelt.

Christine Blättler-Müller tritt in die CVP ein und startet die Arbeit in der Kommission des Kantons Zug für die Gleichstellung von Mann und Frau. Der Kantonsrat streicht die Gelder und die Kommission wird aufgelöst. Dieser Entscheid erschüttert sie; sie beschliesst, für den Kantonsrat zu kandidieren. 2010 wird sie gewählt.

Für Christine Blättler-Müller ist die Gleichstellung von Mann und Frau und Diversität in Firmen und Verwaltungen eine Führungsaufgabe. Als Vorsteherin Soziales & Gesundheit im Gemeinderat Cham möchte sie Frauen sichtbar machen, für die es schwierig ist, in einer männlich geprägten Welt Beruf und Familie zu vereinbaren. Mehr Frauen sollen sich in der Politik engagieren, fordert die Gemeinderätin – speziell auch junge Frauen. Damit Frauen im Beruf weiterkommen, müssen sie sich besser vernetzen und, wenn sich eine Tür öffnet, auch durchgehen. Die frauenspezifischen und sozialen Herausforderungen der Gesellschaft brauchen Frauenstimmen.

Nach ihrer Wahl zur Gemeinderätin wird Christine Blättler-Müller von einem Journalisten angesprochen: «Sie sind ja nur gewählt worden, weil sie eine Frau sind!?» Heute meint sie dazu: «Vielleicht ja – aber das ist gut so.» Sie weiss, dass sie nicht nur deshalb gewählt worden ist.

Laura Dittli


Geboren am 11. März 1991 in Zug
Rechtsanwältin, Kantonsrätin, Präsidentin CVP Kanton Zug



Laura Dittlis Grossmutter kommt aus der Stadt Zürich ins bäuerlich geprägte Dorf Oberägeri zu ihrem Ehemann, der am Institut Dr. Pfister als Lehrer tätig ist. Sie setzt sich ein für die Frauenbewegungen und fürs Frauenstimmrecht. 1972 [sic!] darf sie als erste Frau in Oberägeri die 1. August-Rede halten. Bei der CVP Oberägeri ist sie eine der ersten Delegierten.

2019, mit 27 Jahren, wird Laura Dittli zur Präsidentin der CVP des Kantons Zug gewählt. Sie will damit andere Frauen ermutigen, politisch tätig zu sein und sagt sich: «Nicht viele haben diese Chance. Ergreife sie! Mach etwas draus und sei ein Vorbild für andere Frauen.»

In den 1970er-Jahren kandidiert ihr Grossvater als Kantonsrat für die CVP. Als auswärtiger Zürcher wird er in Oberägeri aber nicht gewählt. 2014 unterstützt er sie bei den Wahlen für den Kantonsrat. Er ist stolz, dass sein Grosskind weiterführt, was er immer gerne gemacht hat.

Sie ist dankbar für das, was die Vorkämpferinnen erreicht haben. Sie glaubt, sie wäre nicht in dieser Position, wenn es diese mutigen Frauen nicht gegeben hätte. Für sie ist Vereinbarkeit von Famlie und Beruf eine Herzensangelegenheit, für die sie sich politisch engagiert. Dafür brauche es aber auch die Bereitschaft der Gesellschaft.

Sie findet, das Modell Tagesschule und Kinderbetreuung soll so selbstverständlich werden wie die obligatorische Schule. Finanziert werden soll das vom Staat. Das schaffe Möglichkeiten, damit beide Elternteile arbeiten können. Sie ist gegen die Quotenregelung, da sie selber nie als Quotenfrau gelten möchte. Lieber sei sie an einer Position, weil sie dafür die fachlichen Qualifikationen erfüllt. Bei der Diskussion rund um die unbegründeten Lohnunterschiede für Frauen und Männer habe die Politik und die Wirtschaft noch einen gewaltigen Schritt nach vorne zu unternehmen, findet Laura Dittli.

Brigitta Kühn-Waller


Geboren am 1. Dezember 1947 in Zug
Familienfrau und Mutter von drei Söhnen, Städtische Schulkommission von 1986 bis 1998, Präsidentin Frauenzentrale Zug von 1996 bis 2002, Präsidentin Bezirkskirchenpflege Zug, Menzingen und Walchwil von 2006 bis 2014, Mitgründerin und Mitglied der Steuergruppe der CityKircheZug seit 2006 bis heute




Brigitta Kühn-Waller wächst in Zug auf. Als sie das Frauenstimmrecht 1971 zum ersten Mal wahrnimmt, ist sie bereits verheiratet. Sie kümmert sich als Familienfrau um ihre Kinder. Später ist sie in einer Kommission, welche sich für Blockzeiten in Zuger Schulen einsetzt. In den frühen 1980er-Jahren ist sie in Gremien von Vorständen und Kommissionen manchmal die einzige Frau. Ihre Anliegen werden oftmals überhört.

Als man sie 1982 zur Mitarbeit in der Kommission Elternschule anfragt, nimmt sie die Frauenzentrale Zug zum ersten Mal wahr. Der Frauenzentrale Zug geht es damals darum, den Frauen allgemein «eine Stimme zu geben», damit sie gleichberechtigt wahrgenommen und behandelt werden und nicht auf die drei K – Kinder, Küche, Kirche – reduziert werden.

Die Frauenzentrale Zug gründet ein Brockenhaus, um mit den Erträgen die Beratungsstellen zu finanzieren. Damit nimmt sie die Anliegen für Frauen wahr. Einige Jahre später übergibt der Kanton diese Aufgaben offiziell der Frauenzentrale Zug und übernimmt Teile der Kosten. 1996 übernimmt sie das Amt der Präsidentin der Frauenzentrale Zug von ihrer Vorgängerin Susi Frei-Schläpfer.

Ab 2003 arbeitet sie bei der Bezirkskirchenpflege der Reformierten Kirche Zug, Menzingen und Walchwil mit, später als deren Präsidentin. Als Mitgründerin der CityKircheZug 2006 ist sie seither Mitglied deren Steuergruppe.

Sie nimmt wahr, dass für ihre Kinder und Grosskinder Gleichberechtigung von Frau und Mann heute eine Selbstverständlichkeit ist. Eine Diskussion über Quotenregelung ist ihrer Meinung nach wichtig, eine Quote per se aber würde sie nicht unterstützen. Bezüglich Vereinbarkeit von Familie und Beruf sieht Brigitta Kühn-Waller Potenzial zur Verbesserung: «Jede Familie soll ihr eigenes Modell so gestalten können, wie es für sie richtig ist.»

 

Im Auftrag von:

 Verein 50 Jahre Frauenstimmrecht Zug 2021


Aufnahmedatum: März 2021
Interviews, Kamera und Ton: Remo Hegglin
Redaktion: Remo Hegglin und Max Pfeffer
Postproduktion: Remo Hegglin und Max Pfeffer


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